zum Inhalt springen
3 Fragen an...

Prof. Dr. Oliver Burgert, Hochschule Reutlingen

„Intelligenter Operationssaal“ klingt zunächst nach Science-Fiction. Wie nah diese Idee bereits an der klinischen Realität ist, erläutert Prof. Dr. Oliver Burgert, Professor für Medizinische Informatik an der Hochschule Reutlingen. Im Kurzinterview erklärt er, was einen kognitiven OP-Saal ausmacht, welche Arbeitsschritte sich dadurch konkret verbessern lassen und wie anwendungs- und transferorientierte Forschungsförderung, sowie die Arbeit in einer Innovationscommunity dazu beitragen, dass mehr praxistaugliche Forschungsideen ihren Weg in die Klinik finden.

Herr Prof. Burgert, was genau versteht man unter einem „intelligenten, kognitiven Operationssaal“ – und wie unterscheidet sich Ihr Ansatz von herkömmlichen OP-Sälen?

Prof. Oliver Burgert: Das Wort "Intelligent" wird aktuell - insbesondere im Kontext der künstlichen Intelligenz - vielleicht etwas überstrapaziert, aber die Vision ist tatsächlich ein Operationssaal, der mitdenkt, versteht was in ihm passiert, und der dann optimal assistieren kann. Dafür muss der Saal wahrnehmen können, was in ihm geschieht. Dieser kognitive Aspekt wird einerseits durch aktive Beobachtung, z.B. durch Kamerasysteme, ermöglicht, aber vor allem durch die Auswertung der Signale, die in der klinischen Routine sowieso anfallen, also z.B. medizinische Gerätedaten, Endoskopie- oder Mikroskopiebilder, etc. Dafür benötigen wir offene Schnittstellen zu allen Geräten im OP, so dass diese Daten auch praktisch zur Verfügung stehen. Diese Schnittstellen werden im ersten Schritt nur zum Auslesen von Daten genutzt, können aber später auch zur automatischen Steuerung von Geräten genutzt werden. Regulatorische-, Datenschutz- (auch des OP-Personals), und Sicherheits-Aspekte müssen dabei selbstverständlich beachtet werden. Darüber hinaus benötigen wir ein umfassendes Prozessverständnis, einerseits der peri-operativen logistischen Prozesse als auch der einzelnen OP-Phasen und sogar der OP-Schritte. Damit schaffen wir eine Wissensbasis, die klinisch validierbar ist, und es ermöglicht, dass der OP ein echtes Kontextverständnis erlangt.

Wie profitieren Patientinnen und Patienten sowie das medizinische Personal konkret von digitalen Assistenzsystemen und der automatisierten Vernetzung im OP? Können Sie dazu Beispiele aus der Praxis nennen?

Prof. Oliver Burgert: Wir erwarten eine Verbesserung der Versorgungsqualität, eine Beschleunigung der Prozesse, und eine bessere Arbeitsumgebung für das Personal im OP-Umfeld da sich das klinische Personal wieder auf die klinischen Kernfragen konzentrieren kann. Das OP-Management wird beispielsweise entlastet da wir genau sagen können, wie weit der Fortschritt in einem OP-Saal gerade ist. Patientenabruf und Benachrichtigung des Reinigungspersonals können automatisiert werden, bei Verzögerungen kann umgehend nach Alternativen gesucht werden. Die heute nötigen Laufwege werden reduziert. Wir haben eine sich an den OP-Verlauf anpassende Checkliste gebaut, die durch die OP führt. Diese schafft eine kognitive Entlastung ähnlich den Checklisten, die in der Luftfahrt gängig sind. Am Ende der OP entsteht auf dieser Basis die erste Version eines OP-Berichts automatisiert. Wir haben dann in unserem OP-Netzwerk einen Situations-Provider-Service, bei dem alle OP-Geräte die Information abonnieren können, in welcher OP-Phase wir gerade sind - dadurch können automatisch kontextabhängige Einstellungen, z.B. die Reduktion der Helligkeit im OP-Saal bei Endoskop-Nutzung oder die Anzeige von für diesen Schritt relevanten Patientendaten vorgenommen werden, ohne dass eine unsterile Person benötigt wird.

Ihr Forschungsprojekt „Digitale Integration und Innovation in der Chirurgie (DIIC)“ lebt von der engen Zusammenarbeit zwischen Forschung, Klinik und Medizintechnikunternehmen. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen und Erfolgsfaktoren beim Transfer innovativer Lösungen aus dem Labor/ der Forschung in den Klinikalltag – gerade mit Blick auf Baden-Württemberg als Innovationsstandort?

Prof. Oliver Burgert: Die größte Herausforderung ist in meinen Augen, dass Ideen, die in der Forschung entstehen, oft weit weg sind von dem, was klinisch möglich ist. Damit meine ich nicht nur regulatorische Anforderungen, sondern auch dass viele Ansätze sich nicht an den realen klinischen Prozessen und Notwendigkeiten orientieren. Das macht dann den Weg vom Forschungsprototyp zum realen Produkt so lang, dass er wirtschaftlich von Unternehmen kaum umgesetzt werden kann. Daher ist die anwendungs- und transferorientierte Forschungsförderung, die wir für unsere DATIpilot Innovationscommunity DIIC erhalten haben, so wertvoll: Sie zeigt das riesige Potenzial der Zusammenarbeit von Kliniken, Forschungseinrichtungen und Firmen auf, und es ist jetzt schon absehbar, dass wir am Ende der Förderung nicht nur weitere großartige Forschungsprojekte gehabt haben werden, sondern auch Produkte und Dienstleistungen nah an die klinische Nutzbarkeit gebracht haben werden. Durch seine hohe Dichte an hochinnovativen Firmen gepaart mit den innovationsfördernden Kliniken und den herausragenden Forschungsstandorten ist Baden-Württemberg daher ein Motor dieser Entwicklungen der auch auf ganz Deutschland ausstrahlt. Was mich dabei wirklich begeistert ist, mit welcher Offenheit und Intensität in unserer Innovationscommunity diese einzelnen Gruppen zusammenarbeiten, und auch über Firmengrenzen hinweg gemeinsam Ideen entwickelt werden. Letztendlich ist allen klar, dass wir nur gemeinsam unsere hervorragende Situation auf dem Weltmarkt halten können und so auch zu einer bestmöglichen Patientenversorgung kommen.

Seiten-Adresse: https://www.forum-gesundheitsstandort-bw.de/infothek/stimmen-aus-dem-forum/prof-dr-oliver-burgert-hochschule-reutlingen