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Vier Fragen an...

Maren Diebel-Ebers & Peer-Michael Dick, Verwaltungsratsvorsitzende AOK Baden-Württemberg

Wie sieht die Gesundheitsversorgung von morgen aus? Vor welchen Herausforderungen stehen das Gesundheitssystem und die Krankenkassen? Und welche Versorgungsstrukturen haben sich in der Vergangenheit bewährt? Über diese und andere Fragen haben wir anlässlich des 30. Jubiläums der AOK Baden-Württemberg mit den beiden Verwaltungsratsvorsitzenden Maren Diebel-Ebers und Peer-Michael Dick gesprochen.

Herr Dick, die AOK Baden-Württemberg feiert in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Was hat die AOK in dieser Zeit insbesondere für den Gesundheitsstandort BW erreicht? Was waren die wichtigsten Meilensteine?

Die AOK Baden-Württemberg hat die Gesundheitsversorgung im Land in den letzten drei Jahrzehnten mit ihrem Innovationsanspruch maßgeblich mitgestaltet: Von mittlerweile 47 AOK Rückenstudios über die Hausarztzentrierte Versorgung bis hin zu intensiven Nachhaltigkeitsbestrebungen, die beispielsweise durch bundesweit einmalige Umweltschutzkriterien in Arzneimittelrabattverträgen belegt werden, hat sie wegweisende Meilensteine gesetzt. So treiben wir die Gesundheitsversorgung in enger Vernetzung mit Leistungserbringern, Gesundheitspartnern, Wissenschaft und weiteren relevanten Stakeholdern kontinuierlich voran. Mit unseren Haus- und Facharztverträgen, beim Thema der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit und der Arzneimittelversorgung nehmen wir bundesweit eine führende Rolle ein und sorgen für eine zukunftsorientierte Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung im Land – mit Vorbildcharakter für das ganze Bundesgebiet.

Frau Diebel-Ebers, inwiefern hat sich in den letzten Jahrzehnten die Gesundheitsversorgung für die Patientinnen und Patienten verändert? Und welche Rolle spielt die Selbstverwaltung der AOK Baden-Württemberg für die Versicherten?

In den letzten Jahren ist nicht zuletzt aufgrund der steigenden Kosten die Prävention mehr und mehr in den Vordergrund getreten, genauso auch die Rehabilitation (Reha vor Pflege). Zudem wurde 2008 in Baden-Württemberg der bereits erwähnte bundesweit erste Hausarztvertrag besiegelt, nach und nach erweitert und um Facharztverträge ergänzt. Er war ein Novum damals. Seit einigen Jahren spielen zunehmend Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte eine Rolle, der Klimawandel wirkt sich auf die Gesundheit aus und muss auch in der Versorgung mitgedacht werden – wie unsere Einführung der klimaresilienten Beratung oder Hitzeschutz für vulnerable Gruppen. Für die Zukunft müssen wir mehr auf die gendersensible Medizin blicken, ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt.

Mit der Selbstverwaltung haben wir einen Anker für Stabilität und Verlässlichkeit im Gesundheitswesen. Sie ist für den Sozialstaat essenziell. Die direkte Mitbestimmung von Versicherten und Arbeitgebern ist für eine demokratische Gesellschaft ein hohes Gut. In diesem Zusammenhang ist es uns wichtig, uns zu gesundheits- und gesellschaftspolitisch relevanten Fragestellungen klar zu positionieren, insbesondere gegen demokratiefeindliche Tendenzen. Dabei sind die Grundprinzipien von Demokratie, Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit für uns unverrückbare Grundsätze.

Frau Diebel-Ebers, nicht nur die Krankenkassen stehen finanziell unter Druck, auch in anderen Bereichen des Gesundheitssystems sind die Gelder knapp. Wo sehen Sie aktuell und in der nahen Zukunft die größten finanziellen Herausforderungen? Und wie bleibt die Gesundheitsversorgung aus Ihrer Sicht bezahlbar?

Wir stehen vor riesigen finanziellen Herausforderungen und aktuell ist es Strategie der Politik, die Finanzierung ungerechtfertigt auf die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler abzuschieben. Dabei sehen wir doch, dass sich die finanzielle Situation der GKV durch teure Gesetzesinitiativen zunehmend verschärft. Ein Beispiel ist der vorgesehene 50 Mrd. Euro schwere Transformationsfonds für den Krankenhausstrukturwandel. Dieser soll zur Hälfte aus dem Gesundheitsfonds finanziert werden, also unmittelbar von den Beitragszahlenden. Der Minister hat den Anteil, den der Bund übernehmen müsste, einfach den gesetzlichen Krankenkassen aufgebürdet, die für die Strukturreform aber gar nicht zuständig sind. Das ist unverantwortlich und gefährdet massiv die Stabilität der GKV. Noch dazu kommen belastende Faktoren wie der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen sowie der drohende Hausärztemangel.

Klar ist, dass sich die Beiträge für GKV (Gesetzliche Krankenversicherung) und SPV (Soziale Pflegeversicherung) nicht unendlich in die Höhe schrauben lassen, das belastet die Beitragszahlenden, die Versicherten genauso wie die Arbeitgeber. Und es ist auch nicht Aufgabe der Krankenkassen, gesamtgesellschaftliche und versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren, wie beispielsweise die Mitfinanzierung der Beiträge von Bürgergeldempfängern, die als staatliche bzw. gesamtgesellschaftliche Aufgabe eigentlich komplett aus Steuermitteln bezahlt werden müssten. Hier klafft eine Finanzierungslücke von rund 10 Mrd. Euro. Weitere Beispiele sind die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige oder die Schließung bzw. der Zusammenschluss von Kliniken im Rahmen der Krankenhausreform. Der Gesetzgeber muss seinen Pflichten nachkommen, ebenso die öffentliche Hand und die Länder. Unterm Strich braucht es nachhaltige Lösungen und Mut, den seit Jahren notwendigen Strukturwandel wirklich anzupacken und sauber zu finanzieren. Zudem braucht es weniger Regelungswut in Berlin, dafür mehr Gestaltungsräume für die Selbstverwaltung.

Herr Dick, ein Blick auf die kommenden Jahre: Was sind für eine große Kasse wie die AOK Baden-Württemberg die wichtigsten Zukunftsthemen? Woran arbeiten Sie – gerade wenn wir an Bereiche wie Digitalisierung oder Nachhaltigkeit denken?

Zahlreiche Auszeichnungen belegen unser langjähriges Engagement und unsere führende Rolle als Gestalterin ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen. Damit tragen wir nicht nur zum Umweltschutz bei, sondern auch zur langfristigen Gesundheit und zum Wohlbefinden unserer Versicherten.

Jüngstes Beispiel: Mit gleich drei Initiativen ist die AOK Baden-Württemberg erneut für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Gesundheit nominiert worden. Für die klimaresiliente Beratung in der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) sowie die Pilotstudie zur nachhaltigen Arzneimittelversorgung, mit der wir eine wichtige gesellschaftliche und politische Diskussion lostreten konnten: Die AOK-Gemeinschaft hat unter der Federführung der AOK Baden-Württemberg gemeinsam mit dem IWW Institut für Wasserforschung sowie dem Umweltbundesamt in bisher einmaliger Form eine Studie zur ökologischen Nachhaltigkeit in der Antibiotikaversorgung durchgeführt. Ziel ist es, Anreize für die umweltgerechte Produktion von Antibiotika zu setzen. Außerdem nominiert wurde das Zusammenspiel der HZV und der Facharztverträge (FAV) in Baden-Württemberg. Hier legen wir seit mehr als 14 Jahren den Fokus auf eine bedarfsgerechte, vom Hausarzt gesteuerte und strukturierte Versorgung unserer Versicherten.

Auf einige wichtige Entwicklungen in der Digitalisierung sind wir ebenfalls stolz: Beispielsweise die App „AOK Navida“, eine smarte Gesundheitsbegleiterin mit Funktionen von Symptomcheck über Arztsuche und Vorsorgekompass bis hin zur Videosprechstunde in Allgemeinmedizin und Dermatologie und einer Kooperation mit der Routenplaner-App komoot für mehr Outdoor-Aktivitäten. Aber auch unser virtuelles Kundencenter, die App „AOK Mein Leben“ für schnelle Self-Services und Verzahnung mit der ePA. Erwähnenswert ist auch die AOK-Digitalberatung, quasi eine Beratung in einem digitalen Büro.
Zudem hat die KI unglaubliches Potenzial, die Versorgung zu verbessern, indem sie uns Tätigkeiten wie statistische Verfahren und Analysen oder auch Wissensmanagement abnimmt, so dass wir uns noch intensiver um unsere Kernaufgaben kümmern können. Diese Themen und Ansprüche werden uns auch in Zukunft weiter begleiten und wir werden sie immer weiter vorantreiben und entwickeln.

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