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Drei Fragen an...

Lea Dringenberg, Ärztin bei der widecare GmbH Stuttgart

Die COVID‑19‑Pandemie ist vorbei, viele Betroffene leiden aber weiterhin unter Beschwerden infolge einer COVID-Infektion. Zwischen fünf und zehn Prozent der Menschen entwickeln dem Robert-Koch-Institut zufolge nach ihrer Infektion mit SARS‑CoV‑2 ein Post‑COVID‑Syndrom, häufig mit ausgeprägter Fatigue, einem chronischen Erschöpfungssyndrom. Im Kurz‑Interview erklärt Ärztin Lea Dringenberg von der widecare GmbH Stuttgart, was Post‑COVID kennzeichnet und wie sich die Symptome bei Betroffenen äußern. Die Ärztin berichtet zudem über ihre Studie zu dem telemedizinischen Gesundheitsprogramm "covidcare", das Post-COVID Betroffene bei dem Umgang mit ihrer Erkrankung unterstützt.

Frau Dringenberg, in Ihrer kürzlich veröffentlichten Studie geht es um das Post-COVID-Syndrom, wobei Sie einen besonderen Fokus auf das Symptom der Fatigue legen. Würden Sie uns zu Beginn noch einmal erläutern, was diese Erkrankung kennzeichnet, wodurch sie ausgelöst wird und wie sich die Symptome äußern?

Lea Dringenberg: Das Post-COVID-Syndrom bezeichnet gesundheitliche Beschwerden, die noch mindestens drei Monate nach einer akuten COVID-19-Infektion fortbestehen oder neu auftreten und nicht durch andere Ursachen erklärbar sind. Besonders häufig tritt bei Betroffenen Fatigue auf, eine anhaltende, tiefe Erschöpfung, die die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit massiv einschränkt. Anders als bei normaler Müdigkeit bessert sich Fatigue kaum durch Schlaf oder kurze Pausen und die Erschöpfung steht nicht in Proportion zu der erledigten Aktivität. Schon geringe Belastungen, wie ein kurzer Spaziergang oder ein Telefonat, können zu einer sogenannten Post-Exertional-Malaise (PEM) führen. Dies bedeutet, dass sich die Symptome – vor allem Fatigue – schon nach geringer körperlicher oder geistiger Belastung deutlich verschlimmern und diese Verschlechterung oft erst mit Verzögerung eintritt und Tage anhalten kann.

Die genauen Ursachen sind noch nicht abschließend geklärt. Diskutiert werden unter anderem immunologische Prozesse, Autoimmunreaktionen oder Durchblutungsstörungen kleiner Gefäße. Die aktuelle Forschung deutet darauf hin, dass die Symptomatik organisch bedingt ist. Sie darf nicht, wie es leider noch häufig passiert, vorschnell als psychisches Problem abgetan werden. Diese Fehleinschätzung führt oftmals zu Stigmatisierung und einer nicht ausreichenden medizinischen Betreuung.

Besonders herausfordernd ist, dass Fatigue in ihrer Schwere und Ausprägung sehr individuell ist. Manche Menschen schaffen es gerade noch, einen eingeschränkten Alltag zu bewältigen, während andere kaum das Haus verlassen können. Die Lebensqualität sowie soziale und berufliche Teilhabe sind jedoch bei allen Betroffenen massiv eingeschränkt. Damit stellt Fatigue eine der größten Herausforderungen innerhalb des Post-COVID-Syndroms dar.

In ihrer Studie untersuchen Sie ein telemedizinisches Gesundheitsprogramm zur Verbesserung der Fatigue-Symptomatik. Können Sie die Inhalte und Besonderheiten des Programms beschreiben?

Lea Dringenberg: Unser Programm „covidcare“ ist ein telemedizinisches Betreuungsangebot, das Menschen mit Post-COVID über mehrere Monate hinweg begleitet. Der Ansatz ist niedrigschwellig und wohnortunabhängig, Betroffene führen regelmäßige telefonische oder videotelefonische Gespräche mit geschultem medizinischem Fachpersonal. Im Mittelpunkt steht häufig das sogenannte Pacing.

Dabei lernen die Teilnehmenden, ihre körperlichen und geistigen Ressourcen realistisch einzuschätzen und ihre Aktivitäten so zu planen, dass es nicht zu Überlastungen kommt. Ziel ist es, den Teufelskreis aus Anstrengung und anschließender tagelanger Erschöpfung zu durchbrechen und so den Alltag stabiler gestalten zu können.

Darüber hinaus bietet das Programm ergänzende Inhalte zur Stressbewältigung, Achtsamkeit oder kognitive Übungen. Je nach individueller Symptomatik werden auch Themen wie Ernährung, Physiotherapie oder soziale Unterstützung einbezogen. Besonders wichtig ist der multiprofessionelle Charakter: Ärzt:innen, Pharmazeut:nnen, Physiotherapeut:innen, Psychotherapeut:innen und Ernährungsberater:innen arbeiten eng zusammen und können flexibel hinzugezogen werden. So entsteht eine Betreuung, die nicht nur medizinisch fundiert, sondern auch sehr praxisnah und individuell ist.

Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass das Programm Betroffene über einen längeren Zeitraum begleitet, durchschnittlich über ein halbes Jahr, wobei die Dauer sich vor allem an den Bedürfnissen der Teilnehmenden orientiert. Diese Kontinuität ermöglicht, gemeinsam Strategien zu entwickeln, Fortschritte zu überprüfen und Rückschläge konstruktiv aufzufangen. Das macht „covidcare“ zu einem wertvollen Instrument, um die bestehende Versorgungslücke bei Post-COVID-Betroffenen zu schließen.

Welche zentralen Ergebnisse konnten Sie in der Studie ermitteln? Inwieweit könnten Menschen mit Post-Covid von den Ergebnissen profitieren? Und welche Bedeutung haben die Studienresultate für den Anwendungsbereich der Telemedizin?

Lea Dringenberg: In der Studie wurden 239 Teilnehmende über durchschnittlich sechs Monate von uns begleitet. Bei 85 Personen konnte die Fatigue zu Beginn und am Ende des Programms mit der Fatigue Assessment Scale (FAS) erhoben und ausgewertet werden. Die Ergebnisse sind ermutigend: Auf der Fatigue-Skala des FAS verringerte sich der Mittelwert bei Teilnehmenden mit moderater Fatigue um rund 8 % (−2,2 Punkte) und bei Teilnehmenden mit extremer Fatigue um rund 14 % (−5,4 Punkte) gegenüber dem Ausgangswert. Beide Veränderungen waren statistisch signifikant, und der beobachtete Effekt bei schwerer Fatigue lässt sich als groß einordnen.

Für Betroffene könnte diese Verbesserung bedeuten, dass sie ihren Alltag etwas stabiler gestalten können. Sie berichten zum Beispiel, dass es ihnen dadurch leichter fällt, Aktivitäten besser zu planen und Rückschläge nach Anstrengung zu vermeiden. Auch kleine Fortschritte, wie etwas länger konzentriert zu bleiben oder kurze Wege außerhalb der Wohnung wieder zu bewältigen, können die Lebensqualität deutlich erhöhen. Diese Veränderungen sind individuell sehr unterschiedlich, aber sie zeigen, dass schon kleine Verbesserungen auf der Skala für die Betroffenen im Alltag spürbar sein können.

Es handelt sich hierbei um erste Daten. Ohne Kontrollgruppe können wir die Wirksamkeit des Programms nicht abschließend bewerten. Dennoch geben die Ergebnisse einen wichtigen Hinweis darauf, dass die Vermittlung von Pacing-Strategien in Kombination mit einer kontinuierlichen telemedizinischen Begleitung einen positiven Einfluss auf die Symptomatik haben kann. Weitere, größere Studien sind notwendig, um diese ersten Erkenntnisse zu bestätigen und die Rolle telemedizinischer Ansätze in der Versorgung von Post-COVID-Betroffenen weiter zu untersuchen.

Für das Gesundheitssystem ist das ein wichtiges Signal. Denn Post-COVID betrifft viele Menschen, die oft keine adäquate Anlaufstelle finden. Ein telemedizinisches Programm wie „covidcare“ bietet die Chance, schnell, ortsunabhängig und zugleich qualitätsgesichert Unterstützung anzubieten. Besonders in ländlichen Regionen oder für Patient:innen mit eingeschränkter Mobilität ist das ein großer Vorteil.

Darüber hinaus zeigt die Studie, dass Telemedizin nicht nur bei klassischen Themen wie Verlaufskontrolle oder Nachsorge funktioniert, sondern auch bei komplexen Krankheitsbildern mit hoher Belastung der Betroffenen. Damit leisten die Ergebnisse einen wichtigen Beitrag zur Diskussion, wie wir die Versorgung langfristig innovativ und nah an den Bedürfnissen der Betroffenen gestalten können.

Weitere Informationen zum covidcare-Programm gibt's hier.

Seiten-Adresse: https://www.forum-gesundheitsstandort-bw.de/infothek/stimmen-aus-dem-forum/frau-lea-dringenberg-widecare-gmbh-stuttgart