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3 Fragen an...

Dr. med. Nicolai Andrees, Oberarzt und Facharzt für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Ulm

Teleintensivmedizin im Fokus: Dr. med. Nicolai Andrees, Oberarzt am Universitätsklinikum Ulm, gehört zu den Wegbereitern der Teleintensivmedizin in Deutschland. Im Interview schildert er, wie digitale Visiten und moderne Kommunikationstechnologien die Versorgung kritisch kranker Patientinnen und Patienten, beispielsweise auch in ländlichen Regionen, verbessern. Er spricht über die Chancen und Herausforderungen der Telemedizin, den verantwortungsvollen Umgang mit sensiblen Patientendaten und erläutert, welche Bedeutung künstliche Intelligenz künftig in der Intensivmedizin haben könnte.

Herr Dr. Andrees, welche Möglichkeiten und Vorteile bietet die Teleintensivmedizin aus Ihrer Sicht für die Gesundheitsversorgung, insbesondere für Patientinnen, Patienten und das medizinische Personal?
Wie sehen Sie die zukünftige Bedeutung der Teleintensivmedizin, auch in Hinsicht auf die Einbindung künstlicher Intelligenz und digitaler Entscheidungsunterstützungssysteme?

Die Teleintensivmedizin, also die intensivmedizinische Betreuung über digitale Kommunikationsmittel, ist ein recht junges Werkzeug in der Intensivmedizin. Erst seit einigen Jahren ist die Televisite in die Regelversorgung übernommen worden. Grundlage hierfür waren die beiden großen deutschen Studien zu diesem Thema: die ERIC-Studie an der Charité in Berlin und die TelNET@NRW-Studie am Universitätsklinikum Aachen.

Das Ziel der Teleintensivmedizin ist es, Patient:innen standortunabhängig den Zugang zu spezialisierter intensivmedizinischer Behandlung zu erleichtern, zum Beispiel bei der Therapie von (Akutem) Lungenversagen. Idealerweise soll dies rund um die Uhr und an jedem Tag des Jahres möglich sein. Hierfür stehen in den konsilgebenden (beratenden) Einrichtungen Expert:innen mit Erfahrung in der Behandlung komplexer intensivmedizinischer Krankheitsbilder bereit. Unterstützt werden wir durch weitere, nicht ubiquitär verfügbare Fachdisziplinen, wie etwa die Neurochirurgie oder die Nephrologie.

Da wir in den Televisiten häufig mit speziellen Fragestellungen oder komplexen Krankheitsgeschichten konfrontiert sind, müssen wir ein breites Wissen in Diagnostik und Krankheitslehre vorhalten. Es ist herausfordernd, dieses Wissen aktuell zu halten. Deshalb wäre es mein Wunsch, zeitnah auch computergestützte Entscheidungsfindungssysteme in die Televisiten einzubinden. Der Weg in der Intensivmedizin hin zum „digitalen Orakel“ ist aber noch weit, auch wenn hier in den letzten Jahren wirklich große Fortschritte gemacht wurden.

Mit welchen Herausforderungen, beispielsweise technischer, ethischer oder datenschutzrechtlicher Natur, sind Sie in Ihrem Arbeitsalltag in der Teleintensivmedizin konfrontiert, und wie gehen Sie und Ihr Team damit um?

Die größte Herausforderung, vor allem in der ersten Zeit, war den Nutzen und die Nützlichkeit außerhalb der Studien zu zeigen. Ich glaube, dies ist uns gelungen.

Eine Herausforderung bei der Teleintensivvisite ist zudem, dass bisher die Konsilgebenden unterschiedliche Visitenstandards hatten. Nun ist es uns im Wissenschaftlichen Arbeitskreis „Digitale Medizin“ der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) gelungen, uns auf einen Kerndatensatz für die intensivmedizinische Televisite zu verständigen. Dadurch hoffen wir, die wichtigsten Daten für die gemeinsame Behandlung der Patient:innen zu erfassen.

Auch der Schutz der Daten, die wir unbedingt für die Einschätzung der Patient:innen benötigen, ist für uns überaus relevant. Mit der DSGVO haben wir enge Leitplanken innerhalb derer wir arbeiten. Ich bin unheimlich froh, dass auch meine Daten sehr gut geschützt sind. Herausfordernd ist allerdings, das richtige Maß an Datenschutz und Arbeitsfähigkeit herzustellen. Während des Aufbaus der Teleintensivmedizin in Ulm hatte ich Kontakt mit vielen Datenschutzbeauftragten. In der Regel liessen sich gute Kompromisse für die Datenverarbeitung und Datensicherheit erzielen. Einfacher, sowohl für mich als auch für die Datenschutzbeauftragten, wäre eine Handreichung zu diesem Thema mit Auslegungsempfehlungen und rechtlichen Einschätzungen von Expert:innen zu den Themen gewesen. Ich habe große Hoffnung, dass zum Beispiel das MEDI:CUS-Projekt hierfür eine Hilfestellung bieten kann.

Die größte Herausforderung in der Teleintensivmedizin ist und bleibt meines Erachtens nach jedoch jede einzelne Televisite. Den Konsilgebenden wird ein großer Vertrauensvorschuss gewährt, wenn wir gemeinsam durch Befunde blättern und uns (virtuell) über die externe Intensivstation bewegen. Wir erhalten unglaublich viele Einblicke in den Stationsalltag anderer Krankenhäuser. Mein Team und ich versuchen diesem Vertrauen bei jeder Visite Rechnung zu tragen und ich hoffe, dass uns das immer wieder gelingt. Sowohl durch einen sinnvollen Beitrag zur Behandlung der uns anvertrauten Patient:innen, wie auch durch einen kollegialen und professionellen Umgang mit den ratsuchenden Intensivmediziner:innen.

Was motiviert Sie persönlich, im Bereich der Teleintensivmedizin tätig zu sein und diese innovative Versorgungsform weiter voranzutreiben?

Die Teleintensivmedizin wird unweigerlich ein wichtiger Teil der medizinischen Versorgung kritisch Erkrankter sein. Der demographische Wandel und die schnelle Vermehrung medizinischen Wissens führen dazu, dass nicht jede Expertise an jedem Ort vorgehalten werden kann. Gleichzeitig nimmt der Bedarf an Wissen über komplexe Behandlungen eher zu. Wir können aber gleichzeitig bei begrenzten Ressourcen in den Krankenhäusern der Maximalversorgung nicht jede:n, quasi analog, vor Ort behandeln.

Wir müssen also einen Modus finden, dass Patient:innen so lange wie möglich heimatnah gut versorgt sind und wirklich nur dann verlegt werden, wenn die Expertise, die die Krankenhäuser der Schwerpunkt- oder Maximalversorgung anbieten, benötigt wird.

Ich leite meinen persönlichen Antrieb zur Weiterentwicklung der Teleintensivmedizin aus dieser dynamischen Versorgungslage ab. Ich hoffe, dass ich durch meinen Einsatz, sowohl in der Televisite, als auch in der Weiterentwicklung der Teleintensivmedizin, Patient:innen und Kolleg:innen unabhängig von der Herausforderung, vor der sie stehen, unterstützen kann – egal, ob ich nebenan oder am anderen Ende des Bundeslandes bin.

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