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Vier Fragen an...

Anne Blumers, Vorständin bei eat what you need e. V.

Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 230.000 Menschen an Krebs – doch etwa ein Viertel von ihnen nicht an der Erkrankung selbst, sondern an den Folgen einer Mangelernährung. Diese wäre in vielen Fällen vermeidbar, wenn Betroffene frühzeitig ernährungstherapeutisch begleitet würden, meint Anne Blumers, Vorständin des Vereins "eat what you need e. V. – Allianz für bedarfsgerechte Ernährung bei Krebs". Sie erklärt im Interview, wie das Projekt „Was essen bei Krebs“ diese Versorgungslücke schließen soll, warum Ernährung ein zentraler Bestandteil einer erfolgreichen Krebstherapie ist und weshalb es während der Therapie keine „guten“ oder „bösen“ Lebensmittel gibt.

Frau Blumers, was ist der Kernauftrag von „eat what you need e. V.“? Welche Versorgungslücke adressiert Ihr Projekt „Was essen bei Krebs“ und welche Zielgruppen erreichen Sie damit?

Anne Blumers: Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 230.000 Menschen an Krebs. Etwa ein Viertel davon – also über 50.000 – stirbt nicht an der Krebserkrankung selbst, sondern an den Folgen einer Mangelernährung. Diese ließe sich in vielen Fällen vermeiden, wenn frühzeitig und regelmäßig eine ernährungstherapeutische Betreuung erfolgen würde.

Doch bislang fehlt in Deutschland eine strukturierte Versorgung: Nicht alle Kliniken verfügen über Ernährungsfachkräfte, und selbst dort reichen die Kapazitäten oft nicht aus. Im ambulanten Bereich ist die Situation noch schwieriger, da die Ernährungstherapie bisher keine Regelleistung der Krankenkassen ist und qualifizierte Fachkräfte fehlen.

Um diese Lücke ein Stück zu schließen, haben wir 2017 das Projekt „Was essen bei Krebs“ ins Leben gerufen. Wir bieten Betroffenen und Angehörigen evidenzbasierte Informationen, alltagstaugliche Empfehlungen, Rezepte, telefonische Ernährungstherapie und mit dem neuen „Ernährungsbegleiter” ein digitales Tool zum Selbstmonitoring.

Unsere Broschüre „Ernährung bei Krebserkrankungen“ wird in Baden-Württemberg über den Krebsverband Baden-Württemberg kostenlos an Kliniken, Praxen und Patient:innen verteilt. Zudem schulen wir Fachkräfte, um die Qualität der Ernährungstherapie in der Onkologie nachhaltig zu stärken.

Was kann die Ernährung bei Krebs bewirken? Auf welche Leitlinien und Evidenz stützen Sie Ihre Inhalte und wie binden Sie Onkologie, Ernährungsmedizin und Pflege ein, damit ihre Empfehlungen alltags- und therapietauglich sind?

Anne Blumers: Ernährung spielt bei einer Krebserkrankung eine zentrale Rolle: Sie versorgt den Körper mit Energie und Nährstoffen, beugt Gewichtsverlust und Mangelernährung vor, lindert Beschwerden und unterstützt die Lebensqualität. Ein bestehender Tumor kann durch Ernährung nicht geheilt oder direkt beeinflusst werden. Ernährung hat aber einen großen Einfluss darauf, wie gut Patient:innen die Therapie verkraften. Ein stabiler Ernährungszustand stärkt das Immunsystem, verbessert die Verträglichkeit der Behandlung und trägt dazu bei, Nebenwirkungen zu verringern und Krankenhausaufenthalte zu verkürzen.

Eine individuell angepasste Ernährung ist damit weit mehr als eine Begleitmaßnahme – sie ist ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Krebstherapie. Wer gut ernährt ist, hat mehr Kraft, mehr Energie und bessere Chancen auf einen positiven Krankheitsverlauf – und entlastet zugleich das Gesundheitssystem.

Unsere Arbeit basiert auf den aktuellen S3-Leitlinien, den ESPEN-Guidelines und der kontinuierlichen Evidenzrecherche unseres interdisziplinären Teams, das eng mit Patient:innen, Angehörigen und Kliniken zusammenarbeitet.

Mit Fachkräften sind wir auch im Rahmen unserer Fortbildungsreihe im direkten Austausch. Sie richtet sich an alle Berufsgruppen, die mit Krebspatient:innen arbeiten – von Ernährungsfach- und Pflegekräften über Mediziner:innen bis hin zu Mitarbeiter:innen von Beratungsstellen.

Welche konkreten Ernährungsempfehlungen sind bei einer Krebserkrankung besonders wichtig, und inwiefern unterscheiden sie sich von denen für gesunde Personen? Welche Ernährungsmythen begegnen Ihnen besonders häufig, und wie klären Sie darüber auf?

Anne Blumers: Wenn eine Krebserkrankung besteht, gelten andere Ernährungsempfehlungen als in der Prävention. Während der Erkrankung zählt das Hier und Jetzt: Was der Körper gerade braucht und verträgt, ist “gesund”. Das kann auch mal das genaue Gegenteil von dem sein, was allgemein als gesund gilt. So können sehr zucker- und fettreiche Lebensmittel langfristig zu Übergewicht führen, während sie für Krebspatient:innen mit Gewichtsverlust oder Appetitlosigkeit wertvolle Energielieferanten sind.

Ein Gewichtsverlust sollte unbedingt vermieden werden – unabhängig vom Ausgangsgewicht. Der Körper erhält dann zu wenig Energie, Eiweiß und Nährstoffe. Schon 5 % Gewichtsverlust in drei Monaten (bei 70 kg Körpergewicht also nur 3,5 kg) können zu einer gefährlichen Mangelernährung führen.

Deshalb lauten unsere wichtigsten Empfehlungen:

  1. Halten Sie Ihr Gewicht so stabil wie möglich.
  2. Achten Sie auf eine ausreichende Eiweißzufuhr.
  3. Essen Sie, was Sie vertragen und was Ihre Beschwerden lindert.
  4. Es gibt keine Verbote und Wundermittel! Essen Sie, was Ihnen Freude macht – ohne schlechtes Gewissen.
  5. Wenn Sie keine Beschwerden haben: Essen Sie bunt und abwechslungsreich.
  6. Holen Sie sich professionelle Unterstützung, wenn es schwierig wird.
  7. Achten Sie auf mögliche Wechselwirkungen zwischen Lebensmitteln und Medikamenten.
  8. Bewegen Sie sich regelmäßig.

Im Kontakt mit Betroffenen ist der vierte Punkt oft besonders relevant: Viele Patient:innen sind verunsichert und glauben, ihre bisherige Ernährung habe zur Erkrankung beigetragen. Diese Sorge begünstigt Ernährungsmythen – etwa die Vorstellung, Zucker „füttere“ Krebszellen, oder bestimmte Lebensmittel wie Brokkoli oder Himbeeren könnten das Tumorwachstum direkt beeinflussen.

Tatsächlich kann ein strenger Verzicht auf Zucker oder ganze Lebensmittelgruppen mehr schaden als nützen: Er fördert Beschwerden, Mangelernährung und Kraftverlust – und schwächt so den Körper und gefährdet den Therapieerfolg.

An welche Stellen können sich Betroffene für verlässliche und gegebenenfalls individuelle Beratung wenden?

Anne Blumers: Wenn Patient:innen selbst auf die Suche nach Beratung gehen, müssen sie wissen: der Begriff „Ernährungsberater:in“ist in Deutschland nicht geschützt – theoretisch kann sich jede:r so nennen. Für eine qualifizierte Ernährungstherapie sollten sich Betroffene daher an Diätassistent:innen, Ernährungswissenschaftler:innen, Ökotropholog:innen oder Ernährungsmediziner:innen wenden. Wichtig ist, dass diese Fachkräfte speziell im Bereich Onkologie weitergebildet sind und sich mit Tumorarten, Therapien, Medikamenten und möglichen Wechselwirkungen auskennen.

Wir empfehlen, sich bereits unmittelbar nach der Diagnose um eine ernährungstherapeutische Begleitung zu kümmern. Patient:innen sollten in ihrer Klinik gezielt nach einer Ernährungsfachkraft fragen und sich bei der Entlassung Empfehlungen für niedergelassene Kolleg:innen geben lassen, um die Betreuung ambulant fortsetzen zu können. Auch Krankenkassen führen häufig Listen qualifizierter Fachkräfte.

Wer vor Ort keine Betreuung findet, kann sich an die telefonische Ernährungstherapie von www.was-essen-bei-krebs.de wenden. Bei Fragen zu Nahrungsergänzungsmitteln oder allgemeinen Fragen zur Erkrankung gibt der Krebsinformationsdienst kompetente Auskunft.

Mit unserem digitalen Ernährungsbegleiter (www.ernährungsbegleiter.de) können Patient:innen regelmäßig Daten zu Ernährung, Beschwerden und Gewicht erfassen. Sie erhalten eine Einschätzung ihres Ernährungszustands sowie passende Empfehlungen und können sich auf Wunsch mit Fachkräften oder ihrem Behandlungsteam vernetzen. Das ersetzt keine persönliche Beratung, hilft aber, Risiken frühzeitig zu erkennen und die fachliche Betreuung optimal zu ergänzen.

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