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Baden-Württemberg will zum Vorreiter bei digitaler Medizin und Translation werden

Wie steht es in Baden-Württemberg um digitale Medizin, Gesundheitsdatennutzung und Translation? Darüber haben sich rund 300 Gäste Ende November bei der Jahresveranstaltung 2022 des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg in Heilbronn ausgetauscht – mit hochkarätigen Rednerinnen und Rednern aus Politik, Wissenschaft, Versorgung und Wirtschaft.

So viel stand bereits zu Beginn der Veranstaltung am 24. November 2022 im Heilbronner Konzert- und Kongresszentrum Harmonie fest: das Jahrestreffen ist zu einem festen Agendapunkt der Akteurinnen und Akteure im baden-württembergischen Gesundheitswesen geworden. Zahlreiche hochkarätige Expertinnen und Experten waren zu Gast, um über den aktuellen Stand zu digitaler Medizin, Gesundheitsdatennutzung und Translation in Baden-Württemberg zu diskutieren. Insgesamt 160 Teilnehmende aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Versorgung waren vor Ort, weitere Interessierte konnten die Veranstaltung digital verfolgen und sich an der Diskussion beteiligen.

Gleich zu Beginn gab Dr. Florian Stegmann, Staatsminister und Chef der Staatskanzlei in Vertretung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Richtung vor: „Wir sind stolz darauf, in Baden-Württemberg die Themen Digitalisierung und Gesundheitsdatennutzung angepackt zu haben. Gut, dass das Land hier vorangeht!“ So habe insbesondere die im März verabschiedete Roadmap Gesundheitsdatennutzung für Baden-Württemberg eine wichtige Grundlage dafür geschaffen, um neue Initiativen, Gesetzesvorschläge und Leitfäden für praktische Umsetzungen der digitalen Medizin in Wissenschaft, Wirtschaft und Versorgung voranzutreiben – all dies konnte als Ergebnis der fünf Arbeitsgruppen unter dem Dach des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg in diesem Jahr angegangen werden.

Bilanz und Ausblick zur digitalen Medizin in Deutschland

Lobende Worte für dieses Engagement fand auch Keynote-Sprecher Prof. Dr. Erwin Böttinger, Leiter des Digital Health Center am Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering gGmbH, gleich zu Beginn der Veranstaltung in seinem Auftaktvortrag. „Mit der Roadmap Gesundheitsdatennutzung geht Baden-Württemberg einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung, da kann ich nur gratulieren“, sagte der Digital-Experte. Mit Blick auf die bisherigen Rahmenbedingungen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen auf Bundesebene zog er indes eine mehr als kritische Bilanz: „20 Jahre Telematikinfrastruktur haben uns dahin gebracht, wo wir heute stehen – zu einem Streit über Konnektoren“, lautete das knappe Urteil des Professors. Zudem habe es zwar viele neue Gesetze des Bundesgesundheitsministeriums in den letzten zwei Jahren gegeben, aber den großen Wurf habe er vermisst. Hoffnungsvoll blickt er nun allerdings auf die Aktivitäten in Europa. „Der europäische Gesundheitsdatenraum ist sehr vorwärtsorientiert. Diese Umsetzung wird für die Gesundheitsversorgung einen echten Mehrwert schaffen“, ist Böttinger überzeugt.

Zentral für ihn ist dabei, dass die Interoperabilität im Vordergrund steht und dass es offene Plattformen gibt, durch die nutzerzentrierte Anwendungen entwickelt werden – im Idealfall unter früher Einbindung der Industrie. „Vor diesem Hintergrund müssen wir auch hier in Deutschland stets europäisch denken“, betonte Böttinger. Seine Vision einer durch Künstliche Intelligenz gestützten, digitalen Medizin im Jahr 2037 stellte er in einem kurzen Film vor. Technisch sei vieles davon längst umsetzbar oder werde in anderen Ländern bereits genutzt, gab er zu bedenken. „Wir hier in Deutschland müssen uns von nationalen Alleingängen verabschieden und auch einfach Dinge mal übernehmen, die anderswo gut funktionieren. Es ist ja nicht die Frage, ob wir uns im Gesundheitswesen digitalisieren, sondern wann und wie.“

Für ihn ist zudem klar: KI und Machine Learning können eine enorme Wertschöpfung schaffen und für die Patientinnen und Patienten eine bessere Versorgung ermöglichen. Daher gelte es, auch in Deutschland Sektorengrenzen zu überwinden und ganzheitliche Angebote zu schaffen. So, wie es zum Beispiel in den USA längst Alltag sei.

Die Roadmap Gesundheitsdatennutzung Baden-Württemberg

Was wie gut in Sachen Gesundheitsdatennutzung in Baden-Württemberg funktioniert und welche Stellschrauben es noch zu drehen gilt, darüber wurde in verschiedenen Sessions am 24. November intensiv gesprochen. Die Co-Vorsitze aus den beteiligten Ministerien und aus der Sprechergruppe stellten vor, was ihre Arbeitsgruppen zur Umsetzung der Roadmap Gesundheitsdatennutzung 2022 geleistet haben. Dabei ging es um Vorschläge für bestehende und neue Gesetze auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene, ebenso wie um Blaupausen für Kooperationen, Bildungsbedarfe und Kommunikation.

Klar wurde vor allem, dass übergreifendes, einheitliches Handeln eine zentrale Säule für die digitale Medizin ist – nicht nur hinsichtlich der Anonymisierung und Pseudonymisierung von Gesundheitsdaten, sondern auch mit Blick auf die Auslegung datenschutzrechtlicher Anforderungen in der Forschung. Viele Rednerinnen und Redner aus Politik, Versorgung und Wirtschaft griffen zudem das auf, was Keynote-Redner Böttinger aus den USA zu berichten wusste: Dass Datenschutz dort als Schutz der Privatsphäre verstanden wird und nicht als Schutz der Daten selbst.

„Wir müssen das Individuum schützen, aber die Daten nutzen – zum Wohle der Patientinnen und Patienten“, brachte es Staatsminister Dr. Florian Stegmann in seinen Eingangsworten ebenfalls auf den Punkt. Und Carola Maute-Stephan, als Vertreterin des Verbandes der Chemischen Industrie und des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, fragte in die Runde: „Will das denn der Bürger, dass wir so restriktiv mit den Daten umgehen?“ Maute-Stephan zitierte eine neue Studie, in der die Bevölkerung der Gesundheitsversorgung großes Vertrauen hinsichtlich der Nutzung von Gesundheitsdaten aussprach. Vor diesem Hintergrund plädierte Maute-Stephan dafür, im Datenschutz Lösungen für die verschiedenen Perspektiven zu finden und guten Datenschutz als übergeordnetes Leitplanken-System zu verstehen, das einen klaren Rahmen für einen vernünftigen Datenaustausch setzt. „Datenschutz darf in Deutschland kein K.O.-Kriterium im medizinischen Bereich mehr sein“, so Maute-Stephan. Datenschutz dürfe nicht nur verhindern, sondern müsse auch ermöglichen. In diesem Sinne liegen nun große Hoffnungen auf dem neuen Gesundheitsdatennutzungsgesetz, für das am 22. November 2022 ein Entschließungsantrag im Bundesrat eingereicht wurde.

Warum Standardisierung zentral ist

Dass es in der Praxis darüber hinaus noch einer besseren Standardisierung von Daten und Prozessen und einer adäquaten Vernetzung über verschiedene Standorte hinweg bedarf, darüber waren sich die Akteurinnen und Akteure in Baden-Württemberg einig. „Ich bin froh, dass das Forum seiner Aufgabe als Strategieinstrument gerecht wird und mit der Roadmap Gesundheitsdatennutzung hier eine wichtige Rolle übernommen hat“, betonte denn auch Petra Olschowski, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Zentral aus ihrer Sicht ist dabei, dass es gute Blaupausen für eine rechtssichere Datennutzung in der Praxis gibt. Als Beispiel nannte sie etwa den neu gegründeten Verein Universitätsmedizin e.V. und dessen Digitalisierungsstrategie, die eine standortübergreifende Vernetzung von Daten ermöglichen soll. „Alle Maßnahmen zielen darauf ab, sektorale Grenzen abzubauen, standardisierte Datenformate zu generieren, die Datenvernetzung des ambulanten und stationären Sektors zu befördern und gemeinsame Datennutzungsformate für Industrie und Forschung – beispielsweise an den Universitätsklinika – zu identifizieren.“

Wie das in der Praxis funktionieren kann, davon berichtete Prof. Dr. Dr. Melanie Börries vom Universitätsklinikum Freiburg: „Wir in Freiburg haben zusammen mit der Industrie und dem Landesdatenschutzbeauftragten mehrere Blaupausen für eine Industriekooperation zur gemeinsamen Datennutzung entwickelt und vor Ort umgesetzt. Diese Blaupausen definieren die einzelnen Schritte, wie wir konkret zusammenarbeiten können und wie die Daten in einem gemeinsamen Datenraum genutzt werden können. Wichtig dabei ist, dass wir diese Erfahrungen mit anderen Universitätsklinika im Land teilen und voneinander lernen, um insgesamt schneller und effizienter vorangehen zu können.“

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus, unterstrich wiederum, dass ein solcher Austausch gerade mit Blick auf die vielen innovativen Unternehmen im Land – sei es in der Medizintechnik, der Pharmaindustrie oder Biotechnologie – auch ein Standortfaktor um globale Wettbewerbsfähigkeit ist. „Ohne Datenzugang keine Innovation. Die Datennutzung bietet für die Versorgung und die Wirtschaft ein großes Potenzial“, sagte sie. Gleichzeitig warb sie um Verständnis, dass Politik nicht immer sofort 100 Prozent dessen erreichen könne, was sich alle Beteiligten wünschten. Die richtige Richtung sei nun aber vorgegeben: „Jetzt muss es darum gehen, dass wir konsequent und schnell digitalisieren. Dass wir Geschwindigkeit aufnehmen und schneller in die Umsetzung gehen, und es wagen, diesen Weg zu gehen.“

Einbindung der Industrie als wichtige Säule

Wie wichtig die Einbindung der industriellen Sichtweise in diesem Zusammenhang ist, machte Prof. Dr. Hagen Pfundner von der Roche Pharma AG deutlich. Mit Blick auf das Thema Gesundheitsdatennutzung fand der Industrievertreter klare Worte: „Wenn wir Wertschöpfung und Innovationskraft in Deutschland halten wollen, dann ist es notwendig, dass wir den Datenaustausch orchestrieren, und dazu gehört eine gesetzliche Grundlage.“

Dass es nun auf Initiative Baden-Württembergs einen Entschließungsantrag für ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz im Bundesrat gibt, sieht Pfundner als positives Signal – nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Arbeit im Forum: „Wir hatten uns den Antrag vorgenommen und nun liegt er vor. Hier passiert etwas, das strahlt aus.“ Wie wichtig die Arbeit auf regionaler Ebene auch in anderen Bereichen ist, zeigt für ihn auch das Beispiel des erstmalig organisierten Roundtable Gesundheitswirtschaft im Bundeswirtschaftsministerium, für den das interdisziplinäre Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg Pate stand.

Bedeutung der Gesundheitskompetenz bei Fachkräften

Bei ihrem Jahrestreffen machten die Expertinnen und Experten auch deutlich, wie wichtig zudem die Qualifizierung der beteiligten Fachberufe im Gesundheitswesen ist, um die Digitalisierung in der Fläche umzusetzen. Daher werden unter dem Dach des Forums bereits verschiedene Initiativen vorangetrieben – sei es in der Ausbildung von Medizinern oder in Pflegeberufen. Staatssekretärin Dr. Ute Leidig aus dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration unterstrich: „Die digitale Transformation kann nur gelingen, wenn wir es schaffen, die digitale Kompetenz aller Stakeholder zu stärken. Der Faktor Mensch hat schon manche Technik scheitern lassen, das darf uns im Gesundheitsbereich nicht passieren.“

Bei einem Rundgang konnten die Politikvertreterinnen und -vertreter zudem hautnah selbst erleben, was in puncto digitale Medizin in Baden-Württemberg bereits umgesetzt wird. Sie nutzten die Gelegenheit, die digitale Anamnese im Krankenhaus über einen Avatar im Projekt TEDIAS auszuprobieren, ließen sich die Möglichkeiten von Virtual Reality für die Ausbildung von Pflegekräften im Projekt xR-Skills-Lab erläutern und konnten live dabei sein, wie über die Telemed 2025-Plattform eine hochprofessionelle telemedizinische Fernbetreuung von Corona-Patienten in ländlichen Kliniken stattfindet, deren Intensivmedizin nicht die personelle Ausstattung eines Uniklinikums verfügt. Viele weitere Anwendungsbeispiele der digitalen Medizin, aber auch weitere Aktivitäten von Akteurinnen und Akteuren aus dem Forum konnten die Teilnehmenden der Veranstaltung zudem über die Ausstellung „Gemeinsam für Gesünder“ erleben.

Fokus Translation: Wie kann Baden-Württemberg noch besser werden?

Der Abschluss-Teil des Jahrestreffens widmete sich schließlich einem Thema, das vielen Anwesenden ebenso unter dem Nagel brannte und im Jahr 2023 verstärkt unter dem Dach des Forums behandelt und diskutiert werden soll: die Translation – also der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die medizinische Praxis. Wie es hier um das Land aktuell bestellt ist, das wird derzeit im Rahmen einer vom Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg initiierten Studie analysiert. BIOPRO-Geschäftsführer Prof. Dr. Ralf Kindervater stellte in einem Kurzvortrag erste Zwischenergebnisse der Untersuchung vor, in deren Rahmen bisher 23 Interviews geführt wurden. Demnach sind rund 70 Einrichtungen im Land daran beteiligt, bei der Translation aktiv Unterstützung zu bieten – vom Cluster, über Netzwerke bis hin zu Inkubatoren und Technologieparks. „Die Infrastruktur ist da, nun geht es darum, die einzelnen Akteurinnen und Akteure noch besser miteinander zu vernetzen und das, was in Tuttlingen oder Konstanz passiert, auch nach Freiburg oder Stuttgart zu bringen“, brachte es Kindervater auf den Punkt.

Wo genau es noch Hemmnisse gibt, darüber wurde im Anschluss in einem Fachpodium gesprochen. Doch es ging nicht nur darum zu sagen, wo der Schuh drückt – etwa bei zu hoher Regulierung in diversen Bereichen der Forschung oder bei der noch zu geringen Incentivierung von Forschenden, die anwendungsnah arbeiten wollen. Die Beteiligten hoben auch hervor, dass es inzwischen bereits eine Reihe von Fortschritten zu sehen gibt. „Mit der School of Translational Medicine haben wir seit zehn Jahren ein Programm, um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Anwendungsperspektive näher zu bringen. Denn wir müssen früh anfangen, für diese Themen in der Forschungscommunity zu sensibilisieren“, sagte Prof. Jonathan Sleeman von der Universitätsmedizin Mannheim. Und auch andere Beteiligte im Ökosystem Gesundheit sehen, dass es vorangeht. „Wir nehmen uns im Gesundheitssystem inzwischen gegenseitig ernst“, so Nadia Mussa, Leiterin der Landesvertretung Baden-Württemberg der Techniker Krankenkasse. „Noch vor zehn Jahren, hieß es doch: Die Kasse zahlt und sonst nix. Das hat sich gewandelt. Nun tun wir uns zusammen, teilen unser breites Wissen und lernen voneinander.“ Nora Sagel vom Start-up Honic wiederum betonte, dass sich Deutschland inzwischen professionalisiert habe, und man als Gründungsteam kompetente Partner finde, die auch nötig seien, um voranzukommen. Dr. Michael Lüttgen vom Netzwerk EIT Health lobte die vielen Initiativen in Baden-Württemberg: „Wenn ich sehe, was hier existiert, muss ich sagen: Hut ab. Ich bin immer wieder begeistert zu sehen, wieviel hier inzwischen angepackt wird – auch im Bundesländer-Vergleich.“

© FGSBW/Fotos: Jan Potente
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